Ein ersehntes Gesetz, das vor allem Kinder und Jugendliche und ihre Bedürfnisse im Blick hat, ist mit der Bundestagsabgeordneten Karoline Otte, der Landtagsabgeordneten Pippa Schneider und dem Stadtratsmitglied aus Clausthal-Zellerfeld Wolfram Haeseler von den Grünen am Freitag in Goslar diskutiert worden. Eingeladen hatte die Venito - Diakonische Gesellschaft für Kinder, Jugendliche und Familien in die Wohngruppe Rittersporn. Es geht um die lange beratene Reform des Kinder- und Jugendstärkungsgesetzes (Sozialgesetzbuch - SGB VIII), das nach einem Beteiligungsprozesses mit Parteien und Praxis, Verbänden und Wissenschaft jetzt erneut im parlamentarischen Verfahren ist, nachdem die Ampelregierung es nicht mehr verabschiedet bekommen hatte.
Das wesentliche Ziel ist, Hilfe aus einer Hand zu erleichtern; Behinderte Kinder werden nach SGB IX behandelt, insbesondere um körperliche Hilfen zu gewähren. Bei Kindern und Jugendlichen in der Jugendhilfe werden auch andere Faktoren wie das Umfeld berücksichtigt. Am Ende geht es darum, dass beide Gruppen durch die Jugendämter betreut werden, so Venito-Geschäftsführerin Carola Hahne. „Einige Modellkommunen machen das schon“, so Hahne. Otte, die im Bundestag für die Belange der Kommunen zuständig ist, vermutet, dass insbesondere bei Eltern von beeinträchtigten Kindern die Hemmschwelle gegenüber dem Jugendamt groß ist, weil dieses auch ordnungsrechtlich eingreifen könnte. Zudem werden zusätzliche Kosten durch die angepassten Prozesse befürchtet.
Druck bekommt Mostafa Haj Salim seit seinem 18. Geburtstag zu spüren, obwohl er im Goslarer Ratsgymnasium auf das Abitur zugeht. Er soll seine Wohngruppe Rittersporn verlassen, obwohl er hier langjährig mit zehn Kindern und Jugendlichen zusammenlebt. „Das würde kein Elternteil machen“, sagte Hahne, zumal im Schnitt in deutschen Haushalten die Kinder bis zum Alter von 23 bis 25 Jahren bleiben. Auch Mostafas Schule hat sich dagegen ausgesprochen. Durch Druck und zu frühe Entlassungen oder Abbrüche von Hilfe sieht Henrik Scholz, pädagogischer Leiter der Einrichtung, die „Bürgergeldempfänger von morgen“ produziert, weil kein Elternhaus im Hintergrund unterstützten kann. Migrantische Jugendliche in Jugendhilfeeinrichtungen würden zudem abgeschoben, weil sie Adresse und Papiere haben. „Wer irgendwo auffindbar und greifbar ist, wird abgeschoben – unabhängig davon, wie gut er integriert ist“, bestätigt Otte. Die Rechtslage habe sich unter der neuen Regierung sogar nochmal verschärft.
Sie bekam auch von den Venito-Fachleuten bestätigt, dass Systemsprenger gelegentlich sogar im Ausland untergebracht werden – von Portugal über Rumänien bis hin zu Südamerika. Einige war man sich in der Runde, dass dann keine fachliche Beaufsichtigung mehr gewährleistet sei. „Die Jugendhilfe hat mitunter auch nicht für alle Hilfebedarfe die passenden Lösungen“, bestätigt Regionalleiter Daniel Knackstedt, dem sogar schon aus Verzweiflung Geld angeboten wurde zur Unterbringung von Kindern. „Man müsse dringend mehr Geld in präventive Leistungen investieren: Familien müssten schon in der Kita Unterstützungsangebote erhalten. Hier sind einige Bundesländer schon weiter und bieten Eltern mit kleinen Kinder schon früh einfach zugängliche Hilfen“ so Carola Hahne. Otte begrüßt diese unterstützenswerten Initiativen, fordert jedoch auch bessere Rahmenbedingungen für die Kommunen: „Freiwillige Leistungen der Kommunen werden bedauerlicherweise zuerst gekürzt, obwohl alle Beteiligten sehr von guter Integration profitieren“.
Pippa Schneider und Karoline Otte sagten zu, die Anliegen der Venito zu ihren Fachkollegen in den Parlamenten mitzunehmen.
Bildunterschrift: Intensive Diskussion zur Stärkung junger Menschen in der Jugendhilfe: (von links) Wolfram Haeseler, Karoline Otte, Henrik Scholz, Pippa Schneider, Daniel Knackstedt, Carola Hahne und Mostafa Haj Salim. Foto ©: Gunnar Schulz-Achelis
